Österreich

Persönliche Erklärung

Pressekonferenz
Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte MedienvertreterInnen, liebe Österreicherinnen und Österreicher vor den Bildschirmen,

 

ich habe mir nie vorstellen können und habe es nie angestrebt, je eine Rede wie diese zu halten. Aber ich halte es für notwendig und die Zeit dafür gekommen.

Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Mir geht es heute nicht primär um mich, mir geht es um unser Österreich.

Vieles von dem, was in den letzten Wochen, Monaten und Jahren passiert ist, der Stil wie Politik in Österreich gemacht wird, widerstrebt meinem persönlichen Selbstverständnis. Denn als Politiker haben wir vor der Geschichte und vor den Menschen zu bestehen, nicht nur vor dem nächsten Wahltag. Wir sind dem Land verpflichtet, nicht nur einer einzelnen Partei.

Ich halte es für einen Fehler, dass in den letzten Jahren versucht wurde, Extreme und Fehlentwicklungen dadurch zu bekämpfen, dass man sich an die Ränder anbiedert und deren Politik kopiert. Damit wird die Mitte verlassen, der Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel gesetzt und damit geht jede Glaubwürdigkeit verloren.

Und trotzdem gibt es politisch Handelnde, die bis heute nicht verstanden haben, welch nachhaltigen Schaden diese Art der Politik auslöst.

 

Es gab Zeiten in unserer Geschichte, in denen wir uns den großen Fragen stellten. Zeiten, in denen wir unser demokratisches Selbstverständnis, unsere gemeinsamen Werte und die Richtung, in die wir als Nation gehen, reflektierten. Aktuell wäre wieder eine solche Zeit.

Aber leider wischen viele die aktuellen Entwicklungen immer noch mit einem lapidaren „Das wird schon wieder!“ oder „Den anderen geht es schlechter“ aus ihren Gedanken.

 

Ich aber halte das politische Versagen in vielen zentralen Themenfeldern, die mangelnde Debattenkultur in und zwischen den Parteien, den eklatanten Vertrauensverlust und ein mittlerweile völlig verschobenes Verantwortungsgefühl für eine schwerwiegende Krise, welche nicht mehr weggewischt werden darf.

Dafür gibt es viele Verantwortliche, aber allen voran liegt es an den politischen Akteuren – auch aus meiner eigenen Partei.

 

Die aktuellen Diskussionen sind für mich der traurige Höhepunkt einer Politik der Scheindebatten. Anstatt echte Lösungen anzustreben, verlieren wir uns im Lärm der Nebenschauplätze. Wir brauchen, wenn man so will, eine Politisierung der Politik. Mehr Mut, Ehrlichkeit und Verantwortung.

 

Ich könnte jetzt eine sehr lange Liste anführen, lassen Sie mich aber nur drei für mich wesentliche Beispiele herausgreifen:

Erstens: Die Rolle Österreichs in Europa

Als jemand der Österreichs Weg in die und in der Europäischen Union so intensiv begleitet hat – wie kein anderer – schmerzt mich unsere veränderte Rolle in Europa. Vom immer angestrebten Motor der Veränderung zum Bremser des Notwendigen. Blicken wir nur auf das Schengen-Veto, das Verhalten der SPÖ bei der Rede von Präsident Selenskyj im Nationalrat oder die immer unverschämtere anti-europäische Politik der FPÖ. Alle diese drei Dinge schaden unserem Ansehen.

Es ist auch in jenen Parteien, die einst der Motor des EU-Beitritts waren, „schick“ geworden, auf Brüssel mit dem Finger zu zeigen, anstatt sich gemeinsam beherzt und konstruktiv einzubringen.

Österreich braucht einen Neustart in der Europapolitik. Österreich braucht eine klare und gesamtstaatliche Vision für unsere Rolle in Europa und Europas Rolle in der Welt.

 

Zweitens: Ein Thema, das ich für zentral halte und wahrscheinlich zu den größten Spannungen zwischen mir und meiner Partei geführt hat: Asyl und Migration

Ich glaube, dass wir auch hier als Volkspartei einen breiten inhaltlichen Konsens gefunden hätten – das glaube ich wirklich. Viel mehr scheitert es an der Sprache, der bewussten Polarisierung und ja, auch dem mangelnden Willen an einer europäischen Lösung zu arbeiten.

Ich sage Ihnen sehr offen: Mir geht es unheimlich auf die Nerven, von manchen als „Linker“ tituliert zu werden, weil ich dafür einstehe, dass Männer, Frauen und Kinder nicht im Mittelmeer ertrinken. Sichere EU-Außengrenzen und sichere Fluchtwege sind kein Widerspruch. Für beides trete ich ein. Aber: Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben.

 

Drittens: Die immer öfter auftretende sinnlose Emotionalisierung und Polarisierung. Neuerdings nennt man solche Debatten „Strategisch notwendiger Unsinn“, wobei am Ende nur der Unsinn überbleibt.

Nehmen wir die Bargeld-Debatte aus dem Sommer als Beispiel: Das Bargeld wird schon seit Jahren missbraucht, um neue Ängste zu schüren. Solche Debatten sind das Spiel mit den Sorgen der Menschen, ohne faktischem Hintergrund.

Der Wille zu argumentieren, scheint zu fehlen. Das stärkt am Ende nur jene, die keine Lösungen wollen. Namentlich die FPÖ.

 

Und das ist nicht nur meine Meinung. Führende Persönlichkeiten, von Landeshauptleuten bis Bürgermeister innerhalb der Volkspartei haben sich gegen solche Scheindebatten ausgesprochen. Ich hätte mir ein solches Auftreten auch bei manch anderen Themen der vergangenen Jahre gewünscht. Von Themen rund um die FPÖ bis hin zu Chats und Österreichs Selbstverständnis in Europa – stand ich in meiner Partei oft alleine da.

Von der Zustimmung zu meiner Linie hinter vorgehaltener Hand hat niemand etwas. Da bräuchte es schon auch den Mut aller Gleichgesinnten aufzustehen und für ihre Meinung und ihre Ideale einzustehen.

Für seine Ideale einzustehen, ist im Übrigen auch keine Attacke auf die eigene Partei. Wir müssen aufhören zu glauben, dass die Funktionäre einer Partei nur dann loyal sind, wenn die ganze Partei eine einheitliche Meinung vertritt und keiner eine eigene hat.

Das freie Mandat und die notwendige parteiübergreifende Zusammenarbeit im Europäischen Parlament, zeigen mir tagtäglich, wie gut es unserem Land tun würde, wenn einige wieder über den Tellerrand der eigenen Parteifarbe blicken würden.

 

All diese inhaltlichen Punkte aus der näheren Vergangenheit sind vielen geläufig. Warum ich diesen oft unbequemen Weg gehe, erschließt sich vielleicht nur jenen die meine politische Geschichte näher kennen. Die wissen, wie und warum ich in die Politik gegangen bin.

Manche glauben: „Der mag den Kurz oder den Nehammer nicht, deshalb ist er gegen die.“ Oder wie ich neuerdings lese: „Der macht das nur, damit er wieder auf die Liste kommt.“ Das amüsiert und schmerzt gleichzeitig.

Ich möchte klarstellen: Es geht mir nicht darum, gegen jemanden zu sein. Es geht mir darum, für etwas einzustehen. Das war schon immer mein Antrieb. So bin ich und so bleibe ich.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Alois Mock war für mich ein großer Mentor. Ich habe nächtelang mit ihm zusammengesessen und diskutiert. Er war ein Förderer und wurde zum Freund.

Und trotzdem bin ich 1984 bei der Besetzung der Hainburger Au dabei gewesen – obwohl er dagegen war. Und trotzdem habe ich bereits für den EU-Beitritt gekämpft – als noch nicht einmal Alois Mock geglaubt hat, dass es dafür eine Mehrheit in Österreich gibt.

Sie sehen: Ich war schon immer ein Verfechter davon, Dinge von innen heraus zu bewegen. Und mein Kurs der Ehrlichkeit, der oft unpopulären Meinung und des Notwendigen hat auch über Jahrzehnte bei Wahlen zum Erfolg geführt.

Ich bin dabei aus Überzeugung meinen Weg gegangen und habe nicht geschwiegen, wenn ich in manchen Fragen anderer Meinung war. Das muss eine demokratische Partei aushalten – ich würde sogar sagen, es ist für einen lebendigen Diskurs notwendig.

 

Zu diesen inhaltlichen und stilistischen Differenzen mit meiner Partei kam in den letzten Monaten aber eine neue Seite hinzu, die ich nicht nur menschlich enttäuschend, sondern auch für eine staatstragende Partei, wie es der Anspruch der ÖVP sein sollte, unwürdig halte. Die Gesprächsbasis und der gegenseitige Respekt meiner Partei mir gegenüber war auch bei inhaltlichen Differenzen bis zum letzten personellen Umschwung gegeben. Der Stil, der jetzt – sowohl persönlich als auch öffentlich – Einzug gehalten hat, ist für mich aber nicht mehr akzeptabel.

Ich habe es in 40 Jahren Politik nicht erlebt, dass ein Generalsekretär mich als „Saboteur“ und jemanden mit „isolierter Einzelmeinung“ attackiert hat, nur weil ich fordere, dass das illegale Vorgehen bei Pushbacks auch Konsequenzen haben muss. Oder mir per Presseaussendung ausrichtet, dass ich Kritik an der Linie der Volkspartei übe, weil ich die für mich noch immer unerklärliche Normal-Debatte nicht applaudierend fortsetze – um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen.

 

Aus diesen Gründen habe ich in den letzten Wochen für mich eine erste Entscheidung zu meiner persönlichen Zukunft getroffen:

Nach 25 Jahren im Europäischen Parlament werde ich bei den kommenden EU-Wahlen nicht mehr kandidieren.

Das ist keine einfache Entscheidung für mich.

Aber warum ich den Weg, den meine Partei politisch immer deutlicher geht, nicht mehr mitgehen kann, habe ich Ihnen anhand einiger Themenfelder skizziert: Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe. Und die ÖVP ist auch leider nicht mehr die Kraft der Mitte, die sie sein sollte.

 

Meine Rolle als Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments ist nicht nur die höchste, die ein Österreicher je innerhalb der EU bekleidet hat, sie hat mir vor allem in den letzten Jahren unheimlich viel Freude und ja auch Anerkennung eingebracht. Deshalb werde ich sie auch bis zum letzten Tag leben. Und zwar so wie ich es immer getan habe: Mit Ehrlichkeit, Visionen und dem Anspruch für das Notwendige zu werben.

 

Und all jenen, die sich vielleicht jetzt über meine Entscheidung freuen, will ich deutlich sagen: Ich bleibe. Und ich bleibe ein Kämpfer.

Ich gebe Ihnen ein sehr persönliches Beispiel: In den Anfängen meiner politischen Karriere habe ich zwei schwere Unfälle gehabt und lag dabei zweimal im Koma. In dieser Zeit habe ich gelernt, wie schmutzig das politische Geschäft sein kann. Während ich noch um das Leben kämpfte, wurde bereits über meine Ablöse diskutiert ­– unter dem Motto: „Der kommt nicht wieder“. Über 40 Jahre später stehe ich immer noch hier und viele von damals gibt es politisch nicht mehr. Das erreicht man nur mit einem klaren eigenen Kurs.

Ich kann nur wiederholen: So bin ich und so werde ich auch immer bleiben. Und egal, welche Türen in Zukunft aufgehen, ich gehe nur hindurch, wenn Sie im Sinne Österreichs und im Sinne eines starken Europas sind.

 

Generell würde ich mir aber wünschen, dass wir ein neues Verständnis von Politik entwickeln. Das klingt groß, aber in Zeiten, in denen immer weniger Top-Leute in den Beruf des Politikers wollen, lohnt es sich bei der Beantwortung der großen Fragen zu jenen mit Erfahrung und Erfolg außerhalb der eigenen Parteikader zu blicken. Staatspolitische Verantwortung muss in Österreich endlich wieder über die Parteitaktik gestellt werden.

 

Damit komme ich zum Schluss: Obwohl ich heute schon so vieles gesagt habe, was mir wichtig ist, habe ich über das Wesentlichste noch nicht gesprochen: Die Zukunft. Es gibt im Moment etliche Themen, die es sich verdient hätten, im Detail angesprochen zu werden. Aber keine Sorge, ich habe mich für einen anderen Abschluss entschieden: Ich möchte Ihnen ein griechisches Sprichwort mitgeben, welches zumindest den Rahmen für die Beantwortung all unserer großen Herausforderungen spannt:

„A society grows great when old men plant trees in which shade they will never sit in.“

Dieses Zitat ist geprägt von Mut und Weitblick. Dem Mut, heute zu handeln – nicht für die unmittelbare Belohnung oder Anerkennung, sondern für das Wohl zukünftiger Generationen. Dem Weitblick, der in Zeiten des Wandels, in Zeiten der Unsicherheit, notwendiger denn je ist.

Es ist leicht, sich von den lauten Stimmen des Augenblicks lenken zu lassen.  Es erfordert jedoch Mut und Entschlossenheit, sich auf das große Ganze zu konzentrieren.

 

Herzlichen Dank!