Newsletter Nr. 213: Q&A zu Next Generation EU
1. Alle Länder schnüren Corona-Rettungspakete, wozu brauchen wir den Aufbauplan „Next Generation EU“ überhaupt?
Die Corona-Krise hat massive wirtschaftliche und soziale Folgen. Wir brauchen den Aufbauplan „Next Generation EU“ und ein starkes EU-Langzeitbudget, um den Wiederaufbau und die notwendigen Zukunftsinvestionen in ganz Europa zu sichern. Das ist im gemeinsamen, europäischen Interesse und damit auch im Interesse Österreichs. Denn wenn es unseren Nachbarn gut geht, geht es auch uns gut. Die wirtschaftliche Stärke der anderen Mitgliedstaaten ist auch unsere Stärke. Zwei Drittel unseres Wohlstandes kommt vom Export und drei Viertel des Tourismus aus dem Ausland. Wir profitieren vom gemeinsamen Binnenmarkt mit mehr als 35 Milliarden Euro pro Jahr – bei einem EU-Mitgliedsbeitrag von rund 1.3 Milliarden Euro. Wenn Italien und Spanien wirtschaftlich krank bleiben, dann greift auch das „Virus Wirtschafts- und Sozialkrise“ um sich und steckt die anderen EU-Staaten mit an. Wer „Next Generation EU“ nicht unterstützt, schadet der Gemeinschaft und sich selbst.
2. Warum muss die EU zusätzlich zum Budget noch gigantische 750 Milliarden ausgeben?
Es geht nicht um die Bezahlung von Schulden anderer aus der Vergangenheit, sondern um dringend benötigte Hilfen und Investitionen in unsere gemeinsame Zukunft. Die EU-Kommission hat den zusätzlichen Finanzierungsbedarf aufgrund der Corona-Krise berechnet: Mindestens 1.500 Milliarden Euro zusätzliche private und öffentliche Investitionen werden europaweit benötigt. Wir müssen in die grüne und digitale Wende und die strategische Unabhängigkeit Europas in der Welt investieren. Bis zu 1.200 Milliarden Euro beträgt der zusätzliche Kapitalbedarf von Unternehmen – vor allem in den Bereichen Tourismus, Gastronomie und Kultur. Und 200 Milliarden Euro braucht es für Investitionen in den Sozialbereich – in Gesundheit, Pflege, Bildung und Wohnen. Der Aufbauplan soll bis zum Jahr 2024 zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und die europäische Wirtschaftsleistung dauerhaft steigern. „Next Generation EU“ ist daher viel mehr als eine Antwort auf die Corona-Krise – er stellt notwendige Investitionen in unsere Zukunft sicher, dient der Neuordnung der EU.
3. Wird die EU jetzt doch zur „Schuldenunion“, wo jeder für die roten Zahlen des anderen haftet?
Wir nehmen neues Geld auf – aber strikt befristet, zweckgebunden und in die Zukunft gerichtet. Es geht um eine punktuelle Ausnahme wegen der Krise, nicht um die Einrichtung einer permanenten Schuldenunion. Das EU-Parlament fordert eine rechtlich bindende Rückzahlungsverpflichtung. Kein Mitgliedstaat haftet für alte Schulden eines anderen. Wir investieren das Geld gemeinsam in die Zukunft, die Haftung ist für die Mitgliedstaaten mit ihrem Anteil am EU-Budget beschränkt. Es gibt keinen Verstoß gegen das Verbot der dauerhaften gegenseitigen Haftung laut EU-Vertrag, die allgemein als Schuldenunion bezeichnet würde. Die Aufnahme von Mitteln muss auch im Rahmen des sogenannten „Eigenmittelbeschlusses des Rates“ genehmigt werden. Dafür ist die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erforderlich. Die sogenannte Schuldenunion ist daher ein Schreckgespenst, das unnötig an die Wand gemalt wird.
4. Kriegt jeder EU-Mitgliedsstaat das Geld aus dem 750-Milliarden-Topf einfach ausbezahlt und kann damit machen, was er will?
Nein. Gelder fließen ausschließlich über EU-Programme und nur bei der Einhaltung von strengen Kriterien und der Erreichung von festgeschriebenen Meilensteinen. Bei Nichteinhaltung kommt es zur Einstellung von Zahlungen. Die Verteilungsschlüssel berücksichtigen Bevölkerungszahl, Wirtschaftsleistung und Arbeitslosigkeit. Sie werden vom Europaparlament und den Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen. Es sollen vor allem jene Länder profitieren, die am meisten betroffen sind. Der Großteil der Mittel – rund 560 Milliarden Euro – werden über das „Aufbau- und Widerstandsfähigkeitsinstrument“ vergeben. Dabei „bewerben“ sich die Mitgliedstaaten mit konkreten Investitions- und Reformvorhaben bei der EU-Kommission. Mittel fließen nur, wenn die Pläne im Einklang mit dem Green Deal, der Digital Agenda und den Reformzusagen im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung stehen. Teil des Gesamtpaketes muss auch unbedingt eine Bindung an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit sein. Der Kommissionsvorschlag dazu liegt seit Mai 2018 auf dem Tisch, die Position des Europaparlaments seit April 2019. Je nach Umfang der Mängel bei Rechtstaatlichkeit und Grundwerten könnte die Union Zahlungen aussetzen, verringern oder beschränken. Jetzt müssen die Mitgliedstaaten im Rat diesem Mechanismus endlich zustimmen.
5. Selbst in der Finanzkrise gab es nur streng kontrollierte Kredite, warum gibt es auch nicht rückzahlbare Geldgeschenke?
Für eine große Mehrheit aus fünf Fraktionen im Europaparlament sind die 500 Milliarden Euro Zuschüsse laut Kommissionsvorschlag das absolute Minimum – auch für die Europäische Volkspartei. Denn der drohende Konkurs von Spitälern in Norditalien, die Menschenleben retten, kann allein durch Kredite nicht abgewendet werden. Wichtige Wirtschaftsbranchen werden ohne direkte Zuwendungen nicht überleben. Gerade Österreich ist auf einen gesunden europäischen Binnenmarkt angewiesen. Der Großteil unseres Wohlstandes kommt vom Export. Wir müssen uns vor dem hochinfektiösen „Virus Wirtschafts- und Sozialkrise“ schützen. Auch das österreichische Milliarden-Programm für Unternehmen und Gemeinden vergibt zu Recht Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Auf europäischer Ebene sind Zuschüsse in Wirklichkeit nichts Neues, sondern seit jeher ein elementarer Bestandteil des EU-Budgets. Wer dagegen mobil macht, streut den Menschen Sand in die Augen.
6. Von wem eigentlich werden die 750 Milliarden wie je wieder zurückgezahlt?
Ein glaubhafter Rückzahlungsplan kann nur durch neue eigene Einnahmen der Union finanziert werden. Einerseits wollen oder können die Mitgliedstaaten ihre Mitgliedsbeiträge nicht erhöhen. Andererseits werden die nationalen Haushalte aufgrund der Corona-Rezession geschwächt. Daher kämpft das Europaparlament für die rasche Einführung von neuen eigenen Einnahmen. Allein die Umsetzung des diesbezüglichen Kommissionsvorschlages aus 2018 – darunter eine Plastikabgabe, Einnahmen aus der gemeinsamen Firmenbesteuerung und dem Emmissionshandelssystem – würde 154 Milliarden Euro mehr für das EU-Langzeitbudget bedeuten. Eine Digitalabgabe für große Onlinefirmen von 3 Prozent könnte zusätzlich 35 Milliarden Euro lukrieren. Darüber hinaus schlägt das Europaparlament auch noch Einnahmen aus einem CO2-Grenzausgleichsystem vor. Das Geld für die Rückzahlung kann – und sollte – bei den Internetgiganten, Umweltsündern und Steuerschwindlern gefunden werden.