Karas mahnt weitere Stärkung der Zusammenarbeit in Europa ein
Straßburg/EU-weit/Brüssel (APA) – Der Erste Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), hat am Mittwoch vor Journalisten einen flammenden Appell für mehr Ehrlichkeit und Demokratie gehalten und eine Weiterentwicklung der EU gefordert. „Es braucht eine weitere Stärkung der Zusammenarbeit in Europa“, so Karas in einem Online-Pressegespräch. Dazu gehöre etwa eine Hinwendung zu einer EU-Verteidigungspolitik und eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip.
Er halte es für eine „sehr erfreuliche Entwicklung“, dass immer mehr EU-Mitgliedsstaaten für den Ersatz von Einstimmigkeit durch Mehrheitsentscheidungen plädierten, sagte Karas: „Einstimmigkeit führt zu Erpressung, Blockade und Stillstand! Wer das Einstimmigkeitsprinzip verteidigt, unterstützt Blockaden.“ Die Suche nach Kompromissen sei das Wesen der Demokratie. „In Österreich erleben wir, dass das Werben um Allianzen überhaupt nicht mehr geschieht. Dieser politische Stil schadet unserem Land und Europa.“
Es brauche eine Abkehr davon, in der Politik „parteitaktische, wahltaktische und machtpolitische Fragen“ ins Zentrum zu stellen. Dieses Verhalten sei „rückwärtsgewandt und zukunftsverweigernd“. Die enormen Herausforderungen der Gegenwart („Meiner Ansicht nach die größten nach 1945“) von der Klimakrise über die Energiewende bis zu neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen ließen sich nur gemeinsam lösen – und gemeinsame Lösungen kämen überdies billiger.
So haben laut Karas weitere Maßnahmen zur Erleichterung von freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr einen potenziellen wirtschaftlichen Mehrwert von geschätzten bis zu 829 Milliarden Euro pro Jahr, durch ein gemeinsames Beschaffungswesen im Verteidigungssektor ließen sich bis zu 75,5 Mrd. Euro jährlich einsparen. Der erste Schritt sei die Schaffung von Kompatibilität der nationalen Heere, langfristig könne er sich vorstellen, „Verteidigungspolitik aus dem EU-Haushalt zu finanzieren“.
Angesprochen auf die jüngsten europapolitischen Äußerungen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der etwa davon gesprochen hat, Österreich werde, wenn notwendig, „Fehlentwicklungen schonungslos aufzeigen“, und für Vielfalt und gegen Zentralismus in der EU eingetreten war, meinte Karas, er habe seinen Blick immer nach vorne gerichtet. Um die EU handlungsfähiger und zukunftsfit zu machen, müsse sie sich wandeln. „Wir müssen die EU neu ordnen. Das gilt für das Budget und für die Entscheidungsmechanismen.“ Nur mit Zusammenarbeit könne man Lösungen schaffen. „Der Nationalismus und der Egoismus löst kein Problem und verursacht nur Kosten.“
Seine eigene Zukunft ließ der 65-jährige ÖVP-Politiker, der seit 1999 Abgeordneter zum Europäischen Parlament ist, auf Nachfrage offen. Ob er bei den Europawahlen im kommenden Jahr wieder antreten werde, stehe noch nicht fest. „Ich habe diese Entscheidung für mich noch nicht getroffen. Ich halte die Debatte darüber für viel zu früh.“ Eines sei jedoch sicher: „Ich werde von meiner Linie nicht abweichen.“