Karas im TT-Interview: „Nicht die nationale Karte spielen“
Der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, über seine Partei, die „Gerüchte“ rund um seine Kandidatur mit einer „Plattform“, über die FPÖ und Reformbedarf innerhalb der Union.
Sie sind auf „Sommertour“ in den Bundesländern. Schon auf Stimmenfang für die EU-Wahl 2024?
Othmar Karas: Nein. Ein Politiker muss auf die Menschen zugehen und auch kritische Fragen beantworten. Darum geht es bei meiner Sommertour. Vor allem angesichts des eklatanten Vertrauensverlusts in die Politik.
Viele Menschen schimpfen auf „die EU“. Was sagen Sie denen bei Ihrer Tour?
Karas: Dass alle aktuellen Herausforderungen – von Asyl über Teuerung bis hin zur Klimakrise– nicht national beantwortbar sind, sondern dass wir dafür eine starke gemeinsame europäische Antwort brauchen.
Auch hiesige Politiker, darunter der ÖVP-Kanzler, versuchen, innenpolitisches Kapital zu schlagen – mit Kritik an der EU, obwohl sie mitentscheiden.
Karas: Die Tendenz zu Nationalismus, Egoismus und dazu, Alles zu ideologisieren und zu parteipolitisieren, löst kein Problem. Das bringt Polarisierung und Spaltung. Es bringt nichts, die nationale Karte zu spielen, weil es uns von der Lösung wegbringt. Innenpolitik darf nicht gegen Europapolitik ausgespielt werden.
Der damalige ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel nannte die Europapolitik einst Herzstück der Regierung. Ist sie das unter Karl Nehammer noch?
Karas: Nach dem Grundsatzprogramm der ÖVP ja.
Auch in der Praxis?
Karas: Nicht in jeder Frage. Das äußere ich auch, weil mir das Sorge macht.
Warum sind Sie angesichts vieler Differenzen noch in der ÖVP?
Karas: Weil ich überzeugter Christdemokrat bin. Die Werte der christlichen Soziallehre bestimmen auch mein politisches Handeln. Und weil ich immer einen konsequenten und geraden Weg gegangen bin. Ich habe mich nicht geändert.
Hat sich die ÖVP geändert?
Karas: Es gibt Auseinandersetzungen, auch unterschiedliche Meinungen. Das weiß man. Ich verstecke mich ja nicht. Ich sehe es als meine Verantwortung, mich mit meiner Erfahrung und mit meinem politischen Selbstverständnis in den Diskurs einzubringen. Das Wichtigste ist, dass man sich selbst in den Spiegel schauen kann. Ich bin Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Ich habe Einfluss und Verantwortung für das europäische Projekt.
Sie wollen noch nicht sagen, ob sie bei der EU-Wahl 2024 erneut antreten, ob – sofern die ÖVP das will – als deren Spitzenkandidat. Oder als der einer Plattform. Machen Sie damit Druck auf Ihre Partei, Sie wieder zu nominieren, weil sie Sie ansonsten als Konkurrenten hat?
Karas: Ich lese diese Gerüchte. Sie stammen nicht von mir. Es muss sie jemand bewusst streuen. Die Ursache dieser Gerüchte ist, dass ich einen eigenständigen und argumentierenden Kurs fahre. Jeder der mich kennt, weiß, dass es mir nicht um Posten geht. Ich würde mir wünschen, dass man sich mit den Inhalten und Ursachen der unterschiedlichen Meinungen auseinandersetzt – dann kämen wir auch ein Stück weiter.
In Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg regiert die ÖVP mit der FPÖ. Im Bund könnte das nach der Nationalratswahl 2024 der Fall sein, gar mit einem EU-feindlichen Kanzler. Eine Horror-Vision für Sie?
Karas: Ich bin einer der schärfsten Gegner der Politik der FPÖ, weil sie antieuropäisch, unsolidarisch, nationalistisch ist – und weil sie die Grundlagen des sozialen Zusammenhalts in Frage stellt. Ich habe es als Schande empfunden, dass die Auseinandersetzung mit der Politik der FPÖ sehr oft der tagespolitischen Performance gewichen ist. Denn diese Auseinandersetzung haben wir zu führen.
Dennoch regieren selbst Parteifreunde wie Wilfried Haslauer mit der FPÖ.
Karas: Meine Bewertung der FPÖ ist Bundesländer-unabhängig. Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass wir uns diese Frage im Bund je stellen müssen.
Welchen Reformbedarf gibt es in der EU?
Karas: Sie muss handlungsfähiger und schneller werden. Das geht, indem wir demokratischer werden. Daher: Nein zum Einstimmigkeitsprinzip, ja zur demokratischen Mehrheitsentscheidung. Bei den inhaltlichen Reformen müssen wir Mut beweisen – von einer gemeinsamen Asylpolitik bis hin zur grünen Transformation der Wirtschaft. Ich trete zum Beispiel für eine echte EU-Verteidigungsunion ein, bei der alle nationalen Armeen eng miteinander kooperieren.
Braucht es dafür wirklich noch 27 Kommissare?
Karas: Der Automatismus, dass jedes Land einen Kommissar stellt, soll fallen. Das ist übrigens bereits grundsätzlich beschlossen, die Mitgliedsstaaten blockieren aber bei der Umsetzung. Wir müssen uns den neuen Themen zuwenden: Künstliche Intelligenz, Digitalisierung oder etwa eine besser koordinierte Afrika-Politik. Die Menschen wollen wissen, wer für welches Thema zuständig und verantwortlich ist.