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„Die großen Probleme werden sich durch nationale Egoismen nicht lösen lassen.“ – Interview in der Kleinen Zeitung

Die EU-Kommission will Atomenergie und Erdgas als „grün“ verkaufen. Österreich ist entschlossen dagegen vorzugehen. Vergebens?

Othmar Karas: Meine Position und die von Österreich ist klar: Atomkraft kann nicht als nachhaltig gelten, weil das Sicherheitsrisiko und die Endlagerungsfrage nicht geklärt sind. Ich habe allen österreichischen Mandataren einen Vorschlag für einen gemeinsamen Einspruch geschickt. Alle haben zugesagt.

Ist die Gefahr nicht groß, dass Österreich mit seinem Protest allein überbleibt und untergeht?

Das ist möglich. Das ist auch nach dem heutigen Stand wahrscheinlich. Durch die Vereinbarung von Deutschland und Frankreich und der Tatsache, dass sehr viele Staaten von Gas und Atomkraft noch jahrelang abhängig sein werden, sind die Chancen nicht mehr als 50 Prozent. Auch eine Blockade im Rat der Regierungschefs sehe ich nicht, 20 Länder sind dafür.

Sie haben ein Silvester-Video gepostet, das als informelle Hofburgkandidatur gedeutet wurde. Werden Sie antreten?

Ich war 2016 der erste ÖVP-Politiker, der sich öffentlich für die Wahl von Alexander Van der Bellen ausgesprochen hat, auch im internationalen Interesse Österreichs. Und ich habe in diesem Wahlkampf eine nicht unwesentliche Rolle auch für das Wahlergebnis gespielt. Es gibt für mich aufgrund der Amtsführung überhaupt keinen Grund, ihm dieses Vertrauen nicht wiederzuschenken. Daher appelliere ich, auch aus Respekt vor dem Amt und der Person, nicht mutwillig einen vorgezogenen Wahlkampf zu beginnen.

Im Video beklagten Sie das zerbrochene Vertrauen in die Politik, ausgelöst durch das Virus, die Polarisierung und die Skandale. Eine Abrechnung mit dem System Kurz – wie manche meinten?

Wäre alles rundgelaufen, müsste ich mir weniger Sorgen machen, und es gäbe weniger Enttäuschungen innerhalb der Bevölkerung – vom Ibiza-Skandal bis zu den Chats. Es sind alle politischen Parteien gefordert, die Lehren aus den letzten Jahren zu ziehen. Auch meine Partei. Ich glaube, wir stehen alle auf dem Prüfstand, in der Art und Weise, wie wir politische Verantwortung wahrnehmen und mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Es hat sich leider der Eindruck verfestigt, als wären Medien, Parteien und Funktionen Selbstzweck. Das muss wieder in eine ordentliche Balance gebracht werden.

Sie haben in der Vergangenheit mit der europapolitischen Linie unter türkiser Regentschaft gehadert. Was erwarten Sie an Korrekturen vom neuen Kanzler?

Was ich mir wünsche: Dass man weniger darüber spricht, was man nicht will, sondern eine Diskussion darüber anstoßen, was wir wollen – und was wir mit und in Europa erreichen möchten. Die großen Probleme werden sich durch nationale Egoismen nicht lösen lassen.

Sollen Europas Spitzenpolitiker die Olympischen Spiele in China boykottieren?

Ich bin im Regelfall dagegen, dass man Sport politisiert. Politisch muss man Signale setzen, die sehr deutlich machen, was uns trennt und nicht nur, was uns vereint. Die Demokratie ist ein Wert. Und die Menschenrechte sind Grundlage des Zusammenlebens. Da darf man nicht zur Tagesordnung übergehen. Daher halte ich es für ein wichtiges Signal zu sagen: Spiele ja, aber es nicht alles in Ordnung, was dort passiert.