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Ukraine-Krieg: Nur geeint und geschlossen werden wir vor der Geschichte bestehen.

In den letzten Tagen wurden auf europäischer Ebene wichtige, widersprüchlich diskutierte, Entscheidungen betreffend des Umgangs mit Russland wegen des anhaltenden Angriffskriegs in der Ukraine, sowie der Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung bei der Verteidigung von Friede, Freiheit und Souveränität, getroffen.

 

Die EU-Kommission hat ein fünftes Sanktionspaket mit sechs konkreten Maßnahmenbündel ausgearbeitet und die Mitgliedsstaaten haben dieses einstimmig beschlossen. Unter diese Sanktionen fallen unter anderem:

  • ein Importstopp für russische Kohle sowie von Holz und Zement bis hin zu Kaviar und Wodka;
  • ein vollständiges Transaktionsverbot gegen wichtige russische Banken;
  • ein EU-Einreiseverbot für russische Schiffe und Lastwagen;
  • gezielte Ausfuhrverbote von Halbleitern, Maschinen und Energietechnik nach Russland;
  • der Ausschluss russischer Unternehmen von jeglichen öffentlichen Aufträgen in der EU;
  • und die Ausweitung der Sanktionsliste auf 1091 Personen und 80 Organisationen (Reiseverbote und Einfrieren von Vermögenswerten von Putin und seinem Umfeld wie Oligarchen).

 

Diese Maßnahmen erweitern die vorangegangenen Sanktionen, wie zum Beispiel den Ausschluss russischer Banken aus dem meistgenutzten globalen Zahlungssystem SWIFT, das Transaktionsverbot für die russische Zentralbank, den Stopp von Nord Stream 2, das Verbot für russische Propagandamedien, das Ende der Beitrittsverhandlungen Russlands zu internationalen Organisationen wie der OECD sowie die Suspendierung Russlands von Europarat und UN-Menschenrechtsrat.

 

Als Erster Vizepräsident habe ich in der ZiB 2 am Sonntag die Positionen des Europäischen Parlaments erläutert. 

 

Das Europaparlament hat mit einer überwältigenden Mehrheit von 93 Prozent (513 dafür) der abgegebenen Stimmen (22 dagegen, 19 Enthaltungen) seine Position zu den „jüngsten Entwicklungen des Kriegs gegen die Ukraine und den EU-Sanktionen gegen Russland und ihrer Umsetzung“ festgelegt und weitere Konsequenzen eingemahnt.

 

Wie ich gehofft habe, haben alle Abgeordneten aus Österreich von ÖVP, SPÖ, Grünen, NEOS zugestimmt – nur die drei FPÖ-Mandatare enthielten sich. Diese überparteiliche Geschlossenheit ist ein starkes Signal an die Öffentlichkeit, an die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine, dass wir gemeinsam, entschlossen an ihrer Seite stehen und an Wladimir Putin, dass wir weitere Sanktionspakete erarbeiten. Jede andere Interpretation ist Wortklauberei.

Diese Geschlossenheit ist auch ein Hinweis darauf, worum es geht: Wir erleben seit Wochen einen grausamen Angriffskrieg Russlands, der zum abscheulichen Vernichtungskrieg im Namen Putins wurde. Wir erleben gerade einen Völkermord in der Ukraine. Kinder, Frauen, Männer werden gefoltert, erschossen, hingerichtet – auf offener Straße liegen gelassen oder in Massengräbern verscharrt. Wer von uns hat diese Bilder der Massaker von Butscha, Mariupol oder Kramatorsk nicht vor Augen? Zudem flüchten Millionen von Menschen aus ihrer Heimat, um vor dem Krieg und dem Tod zu fliehen.

 

Noch vor dem Beschluss des Europaparlaments hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegenüber den Abgeordneten in Straßburg gesagt: „Diese Sanktionen werden nicht unsere letzten Sanktionen sein. Jetzt müssen wir uns Öl anschauen und die Einnahmen, die Russland aus fossilen Brennstoffen bezieht.“ Und Ratspräsident Charles Michel hat ergänzt: „Ich denke, dass auch Maßnahmen bei Öl und Gas früher oder später nötig werden.“ 

Wenn wir in der Geschichte bestehen wollen, uns in den Spiegeln schauen können wollen, müssen wir ein vollständiges Energieimport-Embargo möglich machen! Warum? Aus der EU flossen seit Kriegsbeginn ungefähr 35 Milliarden Euro für Energieimporte nach Russland. Das bedeutet, dass wir pro Tag eine Milliarde Euro, davon aus Österreich sieben Millionen, nach Russland für unsere Importe bezahlen. Damit wird die Kriegskassa Putins gefüllt. Dieses Geld ist die Achilles-Ferse Putins.

 

Nach den grauenerregenden Bildern aus Butscha, habe ich mich mit einigen persönlichen Gedanken zu Wort gemeldet.

 

Ja, auch wir werden einen Preis zahlen müssen. Schon jetzt belasten die hohen Energiepreise viele Menschen und Unternehmen können nicht kostendeckend produzieren. All das haben wir im Blick zu haben. Dies ist aber in keinster Weise mit dem zu vergleichen, was die Menschen in der Ukraine gerade durchmachen.

Putin führt einen Krieg gegen uns und unsere Werte! Es geht jetzt nicht um Parteipolitik, nicht um Blockaden und Erpressungen innerhalb der EU, sondern um politische Verantwortung und offene Augen für die Wirklichkeit. Putin führt einen rücksichtslosen Krieg gegen die liberale, parlamentarische Demokratie und bricht alle Rechtsgrundlagen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen.

Daher setze ich mich für eine sofortige Bildung eines EU-Krisenkabinetts mit festgelegten Aufgaben ein. EU-Kommission, Mitgliedsstaaten, EU-Parlament, EZB, EIB, der außenpolitische Dienst der EU und ein Koordinator für humanitäre Organisationen müssen sich permanent absprechen und kooperieren. Derzeit arbeiten alle EU-Institutionen fieberhaft an Antworten auf die russische Aggression. Der Zusammenhalt ist groß, aber jeder setzt seinen eigenen Schwerpunkt und sendet damit unterschiedliche Botschaften – auch wegen der unterschiedlichen Interessen- und Betroffenheitslage. Deshalb muss es jetzt zu einem umfassenderen Schulterschluss aller kommen.

 

Was machen wir wann und wie? Wir wollen bei jeder Entscheidung wissen, was sie bewirken soll und welche Auswirkungen sie innerhalb der EU hat. Welche Begleitmaßnahmen sind notwendig? 

Daher hat das Europäische Parlament auch verlangt, dass die Kommission einen Plan vorzulegen hat, „mit dem die Energieversorgungssicherheit auch kurzfristig weiterhin gewahrt wird“. Deshalb arbeiten wir an einem Gesetz zum Auffüllen der Gasspeicher für den Winter. Deshalb haben sich die Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Beschaffung von Alternativen zu russischen Energieimporten geeinigt. Deshalb wurde ein neuer EU-Rahmen für staatliche Beihilfen zur Unterstützung von durch die Sanktionen betroffenen Unternehmen angenommen.

 

Der Krieg in der Ukraine führt auch zu einer Beschleunigung der Umsetzung der schon vor dem Krieg gefassten Beschlüsse:

  • Energie-Unabhängigkeit der EU – denn Energiepolitik ist Außen-, Sicherheits-, und Wettbewerbspolitik;
  • vollständiger Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energie;
  • Reduzierung des Energieverbrauchs (vor allem in den Bereichen Gebäude und Verkehr). Jeder und jede von uns kann einen Beitrag leisten.
  • Wir sollten auch eine Energieunion fertigstellen, damit alle Leistungen miteinander verbunden, kompatibel sind und interne Solidaritätsmaßnahmen schneller ergriffen werden können.

 

Überall gilt: Nur geeint und entschlossen werden wir vor der Geschichte bestehen und die neuen Herausforderungen meistern. Auch in der Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik.

Ich will nicht, dass in den nächsten Geschichtsbüchern Kapitel darüber geschrieben werden müssen, warum wir zu lange gezögert haben, die Ukraine mit allem, was das Land für Versorgung und Verteidigung braucht, zu unterstützen. Und warum wir gezögert haben, Russland mit allem zu sanktionieren, was in unserer Macht steht.